Besprechung von Tobias Prüwers »Kritik der Mitte« im Freitag

Zentrum – Unwillkürlich verbinden wir mit dem Wort „Mitte“ etwas Positives. Die politische Mitte, maßvoll handeln, im Zentrum sein statt an der Peripherie – seit der Antike durchzieht eine wirkmächtige
Semantik der Mitte (nicht nur) das abendländische Denken. Von Aristoteles’ Mesotes-Lehre führt der Weg bis zum bundesrepublikanischen Gründungsmythos, dass Deutschland eine Mittelstandsgesellschaft sei. Kein Wunder also, dass alle Mitte sein wollen. Dass der Begriff diese positive affektive Konnotation gar nicht verdient hat, ja die Fixierung auf die Mitte sogar gefährlich ist, zeigt Tobias Prüwer in Kritik der Mitte (Parodos) mit Tiefenbohrungen in Kultur, Politik und Geschichte, die das Fundament des Mythos durchlöchern. Schließlich wohnt auch im Sonnensystem eine dunkle Mitte, die alles verschlingt: ein schwarzes Loch. Leander F. Badura

Abgedruckt im Freitag, Ausgabe 23/2022 (erschienen am 10. Juni)